Die Welt des Wolfs

Das Opfer der Schlange



Es war einmal am Anfang der Welt, als Erde und Himmel noch nicht getrennt, sondern beide von einer großen Schlange umfasst und vereint waren. Nichts war verborgen, alles war offenbar und regte sich in Frieden und Harmonie. Die Schlange erfreute sich am Leben in ihrer Mitte und liebte vor allem die Kinder, die neues Leben in ihre Welt brachten.

In der Mitte wohnte das Licht, das alles mit seinen Strahlen erhellte und dazwischen wehte der Wind, der die Welt mit Atem erfüllte. Doch während das Licht auf alles ohne Unterschied leuchtete und sich darin gefiel, dass es von dem glänzenden Leib der Schlange reflektiert wurde und alle Schatten vertrieb, stieß der Wind mit seinem Wehen immer wieder an die Grenzen, die der Leib der Schlange bildete. Darüber ärgerte er sich jedes Mal so, dass er sich immer mehr zum Sturm erhob, bis er eines Tages so stark blies, dass er den Leib der Schlange mitten entzwei riss.

Der Teil des Schwanzes wurde von dem Sturmwind nach unten getrieben, wo er die Erde bildete, während der Teil des Kopfes in die Höhe gewirbelt wurde, wo sich daraus der Himmel formte. Der Wind, der jetzt frei wehen konnte, dehnte sich jedoch über alle Grenzen hinaus aus, so dass er schließlich all seine Gewalt verlor und zuletzt kraftlos zur Erde nieder sank und an diese als eine Lufthülle gebunden blieb.

Das Licht scheinte weiterhin in seiner Mitte, aber es konnte nur noch das Himmelsgewölbe ganz erhellen, auf der Erde bildeten sich jetzt Schatten, weil der glänzende Leib der Schlange fehlte. Wer dort lebte, vergaß bald die Geschichte der ursprünglichen Einheit mit dem Himmel und machte sich seine Gedanken ganz allein aus dem, was es auf der Erde zu sehen gab.

Der Schwanz der Schlange war in der Erde verborgen, wo er sich unruhig bewegte und dabei immer wieder ein Erdbeben auslöste durch seine Ungeduld. Aber auch wenn es scheinbar ruhig blieb, konnten die Kinder, die feine Ohren hatten, ihre Bewegungen spüren, wenn der Schwanz an die Oberfläche der Erde klopfte und konnten oft nicht einschlafen.

Der Kopf der Schlange hingegen blieb am Himmel wach und konnte von dort zur Erde hinab sehen. Er erinnerte sich immer der alten Einheit und sehnte sich danach, diese wieder herzustellen. Vor allem tat es ihm weh, wenn er die Kinder, die er so liebte, leiden sah. Mit der Zeit wurde seine Liebe so stark und seine Sehnsucht so drängend, dass er begann, sich der Erde zu nähern.

Der Wind konnte ihn nicht mehr davon abhalten, aber in der Luft, die die Erde umhüllte, war er der Schlange immer noch feindlich gesinnt. Als ihr Kopf in diese eintauchte, betäubte er ihn und er drohte zu sterben. Doch der Schwanz der Schlange, nahm das Nahen des Kopfes war und streckte sich diesem aus einem Vulkan entgegen, so dass es dem Kopf mit letzter Kraft noch gelang, seinen Schwanz zu erfassen.

In diesem Moment kehrte das alte Leben in die Schlange zurück, der Wind konnte ihr nichts mehr anhaben und sie wuchs wieder zusammen. Sie konnte zwar die alte Einheit nicht wieder herstellen, da Erde und Himmel getrennt blieben, aber sie bewegte sich um beide herum durch die Mitte des Lichts hindurch, mit dem sie dankbar verbunden blieb und das sich jetzt wieder im Leib der Schlange spiegeln und die Schatten vertreiben konnte.

Wenn ihr Kopf aufstieg, nahm sie die Gedanken derer, die auf der Erde waren hinauf in den Himmel und besonders die Wünsche der Kinder vergaß sie dabei nie. Wenn sie sich nach unten bewegte, brachte sie Träume, Ideen, Hoffnung und Trost vom Himmel zur Erde. Umfangen von der ruhigen Bewegung der Schlange erkannten sich alle wieder als Teil des Himmels und der Erde und alle Kinder konnten am Abend ruhig einschlafen und in Frieden träumen, bis sie am Morgen wieder aufwachten und an das dachten, was ihnen die Schlange in der Nacht erzählt hatte.



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