Die Welt des Wolfs

8. Brief (vom 8. 2. 2001)

Über die Engel

Zwischen Kitsch und frommer Anbetung fristeten die Engel in unseren Tagen ein wenig fruchtbares Dasein. Wir fanden noch nicht das richtige Verhältnis zu diesen geistigen Wesen, die so eng mit uns Menschen verbunden sind. Euch ist die Vorstellung vertraut geworden, dass wir Menschen in einer Entwicklung begriffen sind, die uns über unser heutiges Sein hinaus einmal hinauf auf die Stufe der Engel führen wird.

Dass Engel so etwas wie höhere Menschen sind, konnte man an ihren Darstellungen in der Kunst zwar schon immer erkennen, aber der Gedanke, dass wir selbst den Keim zum Engelwesen in uns tragen, konnten früher nur wenige fassen. Denjenigen, die sich ihrer Unvollkommenheit als Menschen bewusst waren, erschien es anmaßend und vermessen, in uns die Anlage eines zukünftigen Engels erblicken zu wollen, aber auch die Tatsache, unsere Freiheit zu verlieren und ganz im Dienste eines höheren Willens handeln zu sollen, war wenig attraktiv für viele von uns.

Wie viel leichter ist die Beziehung zu den Engeln für euch geworden, seit ihr wisst, dass ihr nicht der Macht und Moral eines euch führenden und schützenden Engelwesens unterstellt seid, aber dass ihr auch eure Freiheit nicht delegieren könnt an diese geflügelt dargestellten Wesen, sondern dass es allein von eurem freien Willen abhängt, ob sich euer Menschenwesen engelhaft entwickeln wird. Nicht etwas Fremdartiges und Furchterregendes seht ihr in den Engeln auf euch zukommen, sondern ihr begegnet in ihnen euch selbst, eurer eignen zukünftigen Daseinsweise.

Wenn ihr euch der Perspektive eurer kommenden Entwicklung als Menschen öffnet, so zeigt sich euch das Bild eures Engels als eine aus der Zukunft leuchtende Gestalt, in der ihr selbst einmal aufgehen werdet. Ihr habt keine Angst mehr davor, eure Individualität zu verlieren angesichts der Größe der Engel, sondern ihr wisst, dass ihr das trennende und abgrenzende Sein, was euch als Menschen zu einem Ich macht, als Engel überwunden habt, ohne dass ihr dadurch aufhört, ein eigenes Wesen zu sein. Ihr seht den Engel in euch zukünftig im Einklang mit dem Gang der Schöpfung handeln und erkennt, wie sich unser Ich dann nicht auflöst, sondern nur die Notwendigkeit verliert, sich in seiner Eigenart gegenüber anderen zu profilieren und zu definieren. Es kann dann in Übereinstimmung mit einem höheren Willen handeln und gleichzeitig sein eigenes Wesen entfalten.

So sind die Engel für euch zum Ausdruck dafür geworden, dass wir unser Ich erst dann ganz erfüllen, wenn wir unsere Individualität nicht mehr beweisen müssen, sondern wenn wir zum lebendigen Teil eines Ganzen geworden sind, das seine Gestalt dadurch gewinnt, dass jedes seiner einzelnen Glieder sein eigenes Wesen und seine Individualität zu ihrem Werden und Sein beiträgt.