Die Welt des Wolfs

4. Brief (vom 10. 1. 2001)

Über die Astrologie

Wenn in unserer Zeit von Astrologie gesprochen wurde, so bezogen die Menschen deren Aussagen nach einem überlieferten Muster auf sich, ohne zu prüfen, ob diese überhaupt berechtigt waren. Sie suchten nach Bewertungen ihres Lebens, nach Entscheidungshilfe und versuchten, sich mit Hilfe der Sterne ihr Leben leichter und bequemer zu machen. Wer an die Sterne glaubte, war bereit, seine eigene Verantwortung zu delegieren an das Urteil von Astrologen, die nicht selten ihr Geld verdienten mit der Leichtgläubigkeit der Leute, die ihre Freiheit für ein paar Mark verkauften.

Allen anderen war die Astrologie aus diesem Grund verdächtig geworden und so führte sie ein Schattendasein, das sie in die Nähe von Jahrmarktswahrsagern rückte und Boulevardblättern Stoff für Effekthascherei und Spaltenfüllung bot. Wer meinte, etwas von der Wahrheit der Sterne zu verstehen, war nicht selten bereit, seine Mitmenschen vor den Kopf zu stoßen und ihnen durch sensationelle Verheißungen ihre Freiheit dem Schicksal gegenüber zu nehmen oder einzuschränken. Dabei waren die Sterne auch in unserer Zeit bereit, den Menschen Orientierung zu bieten, die ihren Weg durchs Leben nicht blind tastend gehen wollten, sondern bewusst nach einer ihrem eigenen Wesen gemäßen Entwicklung suchen wollten. Dies gelang aber nur den wenigen, die das Instrument der Sterndeutung sich selbst aneignen und für sich nutzbar machen konnten.

In eurer Zeit werdet ihr euch wundern, wie es überhaupt möglich war, ein Leben lang ohne die Begleitung der Sterne zu verbringen. Ihr werdet euren Weg und euer Leben mit Hilfe der Sternenkunde wieder so einteilen und planen können, wie es zu unserer Zeit mit den Zeigern der Uhr geschah. Sicher, auch die Uhrzeiger und die Zeiteinteilung sind nichts anderes als Anwendung des Sternenlaufs, wenn auch in einem sehr vereinfachten und mechanisiserten Verfahren und den meisten Menschen unbewusst. Ihr aber werdet zu einem neuen Verhältnis zu den Sternen finden, in dem der Mensch nicht mehr versucht, sich deren Gunst in seinen Lebensgang auf die Erde herunter zu holen, sondern in dem er sich zu ihrer Weisheit erheben und in ihrem Licht die Richtung seiner eigenen Entwicklung gespiegelt sehen kann.

Für euch wird es selbstverständlich sein, dass ihr euch in der Schule des Lebens ernsthaft mit dem beschäftigt, was hinter dem sichtbaren Horizont liegt, aber gleichzeitig durchaus praktisch eingestellte Menschen bleibt. Ihr werdet lernen, in diesen Dingen nicht mehr zu spekulieren und nicht zu spintisieren, sondern den gesunden Menschenverstand urteilen zu lassen auch dort, wo es um unsichtbare Erscheinungen und Wirklichkeiten geht. Auch wenn der Grat immer schmal sein wird zwischen dem, was eigene Entwicklung anregen kann und dem, was abhängig macht von Prognosen, ihr werdet lernen, diesen Weg dennoch sicher zu gehen.

In eurer Zeit wird der Feiertag der Heiligen Drei Könige wieder hoch geehrt werden. In der Legende dieser drei Astrologen wird ja äußerst plastisch beschrieben, worin die positive Praxis der Sternkunde besteht: nämlich den eigenen Weg mit Hilfe der Sterne zu suchen und sich dann aufzumachen, ihn tatsächlich auch zu beschreiten. Die Größe dieser chaldäischen Weisen lag aber nicht allein darin, dass sie ihren Blick zum Himmel hoben und sich lenken ließen vom Licht ihrer Sterne, sondern dass sie auch konsequent in der äußeren Weltgeschichte nachforschten, wie weit das, was sie oben sahen, mit dem korrespondierte, was ihnen unten begegnete.

In eurer Zukunft aber werdet ihr es schwer haben, ein Lächeln zu unterdrücken, wenn ihr im Rückblick seht, wie bei uns eine hochentwickelte Wissenschaft immer mehr Erklärungen der Welt fand, ohne den Menschen die Freiheit zum eigenen Handeln eröffnen zu können. Und ihr werdet es kaum verstehen können, wie dennoch der Aberglaube blühte und ein vulgärer Umgang mit Horoskopen die seltsamsten Blüten treiben konnte. Was für euch wie eine selbstverständliche Vorsorge, eine bestärkende Bestätigung oder auch eine hilfreiche therapeutische Maßnahme sein wird, klingt heute noch für die meisten fantastisch, lebensfremd oder unrealistisch.

So wie früher die Seeleute die Sterne als Orientierungshilfe nahmen, um ihre Schiffe nicht steuerlos treiben zu lassen, so werdet ihr euch auf eurem Seelenweg nicht mehr hilflos schlingern lassen, wie es heute noch vielen Menschen geschieht, wenn sie in eine Krisensituation geraten. Und wenn ihr schon nicht immer das Ziel kennen werdet, auf das euer Weg zusteuert, so werdet ihr wenigstens die Gründe kennen, warum ihr außer Tritt geraten seid und werdet um die Abwege wissen, die euch abzubringen drohen von der Erfüllung eures Lebenslaufs.

Für euch werden die Sterne das werden, was sie sind: Träger von Weisheit, die darauf wartet, von uns Menschen ergriffen zu werden, damit wir mit ihrer Hilfe uns selbst erkennen und zu den Perspektiven der in uns liegenden Entwicklungsmöglichkeiten finden können.